Aus der Sicht eines Auditors: Pros & Cons von eQMS

Verfasst von Dietmar Schaffarczyk

Dietmar Schaffarczyk ist Dipl. Lead Auditor für ISO 13485 QMS im Bereich der Gesundheitsprodukte (Medizinprodukte, In-Vitro-Diagnostika, Kombinationsprodukte und Software als Medizinprodukt) sowie Universitätsdozent an der ETH Zürich.

Jul 17, 2023

Während die Gesundheitsbranche immer weiterwächst, ist es entscheidend, Qualität und Einhaltung gesetzlicher Normen zu gewährleisten. Elektronische Qualitätsmanagementsysteme (eQMS) werden zunehmend zur Verwaltung und Aufrechterhaltung von Qualitätsprozessen in Organisationen eingesetzt. Dieser Artikel gibt einen Überblick über verschiedene Anbieter von eQMS und deren Produkte, diskutiert die Vor- und Nachteile von eQMS und wirft einen Blick auf EU-Vorschriften, Softwarevalidierung und häufige Missverständnisse von Startups.

Die Medizinprodukteverordnung (MDR) und die Verordnung über In-vitro-Diagnostika (IVDR) verlangen von den Medizinprodukteherstellern die Einführung eines robusten QMS, das nicht nur die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen, sondern auch eine gleichbleibende Qualität gewährleistet. Das bedeutet, jedes Mal, wenn ein bestimmter Prozess durchgeführt wird, sei es z. B. das Risikomanagement, die Qualifizierung von Lieferanten oder die Überwachung nach Inverkehrbringung, werden dieselben Informationen, Methoden, Fähigkeiten und Kontrollmaßnahmen genutzt und angewandt, wie sie in der entsprechenden Standardvorgehensweise (SOP) festgelegt wurden. Mit seinen SOPs und Arbeitsanweisungen, die jeden einzelnen Prozess abdecken, ist ein QMS die umfangreichste Dokumentation eines Unternehmens. Kein Wunder also, dass schlanke eQMS-Lösungen zunehmend eingesetzt werden.

eQMS-Lösungen bieten zahlreiche Vorteile

  • Standardisierung von Prozessen | eQMS-Lösungen kann dazu beitragen, Prozesse zu standardisieren und dadurch Konsistenz im gesamten Unternehmen zu gewährleisten.
  • Einhaltung von Regularien | eQMS-Lösungen können Organisationen dabei helfen, regulatorische Anforderungen, etwa der FDA- oder MDR/IVDR, einzuhalten.
  • Bessere Sichtbarkeit und Transparenz | eQMS-Lösungen verbessern die Sichtbarkeit und Transparenz von Prozessen und ermöglichen es Unternehmen Probleme schnell zu erkennen, nachzuverfolgen und zu beheben.
  • Rationalisierte Workflows | eQMS-Lösungen tragen zur Rationalisierung von Arbeitsabläufen bei und verringern den Zeit- und Arbeitsaufwand für die Bewältigung anfallender Aufgaben.
  • Gesteigerte Effizienz | eQMS-Lösungen können Unternehmen helfen, ihre Effizienz zu steigern, indem sie Fehler und entsprechende Überarbeitungen reduzieren.

 

Alles hat eine Kehrseite

  • Fehlende Inhalte | Einigen eQMS-Lösungen fehlen spezifische Inhalte für bestimmte gesetzliche Anforderungen oder Prozesse.
  • Überwältigende Inhalte | Andererseits enthalten einige eQMS-Lösungen zu viele Informationen, sodass es für die Benutzer:innen schwierig werden kann, das zu finden, wonach sie suchen.
  • Fehlende Anpassung | Einige Benutzer:innen passen ihr eQMS nicht an ihre spezifischen Bedürfnisse an, was zum Scheitern des Zertifizierungsverfahrens führen kann.
  • Falscher Anschein von Vollständigkeit | Ein eQMS kann den falschen Eindruck von Vollständigkeit und validen Inhalten erwecken, dabei können solche Lösungen das menschliche Fachwissen bei der Verifizierung von Inhalten nicht ersetzen.
  • Komplexe Benutzungsoberflächen | Einige eQMS-Lösungen haben ein komplexes Interface, was es den Benutzer:innen erschwert, sich auf der Plattform zurechtzufinden.
eQMS Anbieter und ihre Produkte*

ColabON verspricht, dass ColabON zur Verwaltung von QMS, zur Interpretation von Normen und zur Erstellung von generischen Produktanforderungen verwendet werden kann.

Confinis hat zusammen mit einem IT-Partner ein eQMS entwickelt, das auf den Software-Plattformen Jira und Confluence basiert.

MasterControl ist ein führender Anbieter von eQMS- und begleitenden Softwarelösungen. Die Plattform bietet Funktionen wie Dokumentenkontrolle, Auditmanagement, CAPA-Management und Änderungskontrolle.

OpenRegulatory Formwork ist eine – anfangs – kostenlose Softwarelösung für die regulatorische Arbeit.

Qualio Services bietet ein All-in-One QMS mit Dokumenten, Schulungen, CAPAs, Reporting sowie FDA- und ISO-Konformität.

QUMAS ist ein weiterer großer Anbieter von eQMS- und zugehörigen Softwarelösungen. Die Plattform bietet Funktionen wie Dokumentenkontrolle, Änderungskontrolle, Auditmanagement und Schulungsmanagement.

SoftComply bietet ein QMS, das als App auf Confluence bereitgestellt wird und FDA- und MDR-Regularien erfüllt.

Sparta Systems bietet eine Reihe von eQMS-Lösungen, darunter TrackWise, Stratas und Sparta Cloud. Die Plattform bietet Funktionen wie Dokumentenkontrolle, Abweichungsmanagement, Änderungskontrolle und CAPA-Management.

* nicht vollständige Liste; alphabetische Reihenfolge

Mit “Content First” starten

Häufig kann man beobachten, dass Startups eQMS als Plug-and-Play-Lösung missverstehen. Tatsächlich erfordern diese Systeme aber erhebliche Investitionen, Anpassungen und laufende Wartung. Unternehmen müssen die Anforderungen und Fähigkeiten einer eQMS-Lösung sorgfältig bewerten, bevor sie in diese investieren, um sicherzustellen, dass sie sich voll und ganz der Wartung des Systems verpflichten können. In der Anfangsphase kann ein „Content First“-Ansatz daher effektiver sein. D.h. man beginnt damit die eigenen Inhalte mit Word und Excel individuell aufzusetzen.

Hier sind fünf Gründe für den „Content First“-Ansatz:

1. Den Prozess verstehen

Wenn sich ein Unternehmen zunächst den individualisierten Inhalten unter Verwendung von Office-Anwendungen widmet, kann es seine Prozesse und die spezifischen Qualitätsmanagementanforderungen des eigenen Betriebs besser verstehen. Durch diese manuelle Analyse und Dokumentation von Prozessen können Unternehmen Bereiche mit Verbesserungspotenzial identifizieren, ihre Prozesse rationalisieren und sicherstellen, dass ihr QMS auf ihre spezifischen Anforderungen zugeschnitten ist.

2. Kosteneffektiv

Die Implementierung eines eQMS kann kostspielig sein, insbesondere für Startups. Oft verstecken sich die Kosten in zusätzlichen Lizenzgebühren ab einer bestimmten Anzahl von Benutzer:innen oder in den Kosten zur Validierung. Mit einem Office-basiertes System zu beginnen, kann eine kostengünstige Möglichkeit sein, ein QMS ohne große Anfangsinvestitionen einzuführen.

3. Flexibilität

Mit dem „Content First“-Ansatz hat ein Unternehmen die größtmögliche Flexibilität, sein QMS nach Bedarf zu ändern und anzupassen. Das System kann problemlos an Änderungen im Geschäftsumfeld oder an gesetzliche Anforderungen angepasst werden, bevor die dann zertifizierten Inhalte womöglich zu einem späteren Zeitpunkt in ein eQMS übertragen werden können.

4. Benutzer:innenfreundlichkeit

Vor allem für kleine Unternehmen kann ein Office-basiertes System einfacher zu bedienen und zu pflegen sein als ein eQMS.

5. Compliance

Schließlich hilft der „Content First“-Ansatz einem Unternehmen, die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften zu gewährleisten. Durch die Erstellung von Standardvorgehensweise und Dokumentenkontrollverfahren kann das Unternehmen sicherstellen, dass sein QMS den gesetzlichen Vorschriften entspricht – ohne zusätzliche Kosten.

Während der „Content First“-Ansatz Organisationen also ein besseres Verständnis ihrer Prozesse und Anforderungen ermöglicht, kann er langfristig zu mangelnder Standardisierung und Ineffizienz führen. Der Ansatz dient daher viel mehr dazu, ressourcenschonend ein unternehmensspezifisches QMS aufzubauen, dessen Inhalte später in ein eQMS übertragen werden.

Was lässt sich daraus also aus der Sicht eines Auditors schließen? Da QMS in der Gesundheitsbranche nicht nur von entscheidender Bedeutung sind, sondern auch unternehmensspezifisch eingerichtet werden müssen, sollte ein Startup die Vor- und Nachteile der verschiedenen QMS- und eQMS-Lösungen unter Berücksichtigung seiner individuellen Bedürfnisse sorgfältig abwägen. Mit „Content First“ zu beginnen, kann ein vorteilhafter Ansatz sein. Denn dies ermöglicht ein besseres Verständnis, Kosteneffizienz, Flexibilität, Benutzer:innenfreundlichkeit und Konformität.

Schon gewusst?  In unseren 4C Services setzen wir auf diesen Ansatz, wenn es darum geht, euch bei eurer Dokumentation zu unterstützen – sowohl beim QMS als auch bei der technischen Dokumentation. Denn nur dadurch werdet ihr tatsächlich enabled und im Regulatory Thinking® trainiert.

Diese Expertenmeinung basiert auf den Erfahrungen von Univ.-Doz. (ETH) Dietmar Schaffarczyk mit verschiedenen (e)QMS Lösungen und Frameworks während seiner Tätigkeit als Zertifizierungs-Auditor für Qualitätsmanagementsysteme.

 

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